Der Syrienkonflikt ist wieder in den Nachrichten, nachdem in der vergangenen Woche im Norden des Landes heftige Kämpfe ausgebrochen sind – und die Angst vor erneuten Gräueltaten an der Zivilbevölkerung wieder aufgeflammt ist.
Am 27. November erfolgte der Beginn einer überraschenden Offensive unter der Führung von Hay'at Tahrir al-Sham (HTS), einer islamistischen bewaffneten Gruppe, die den Großteil der syrischen Provinz Idlib kontrolliert. Sie kämpfen an der Seite von Fraktionen einer Gruppe namens Syrische Nationalarmee (SNA), die von der Türkei unterstützt wird.
Diese Anti-Regierungskräfte eroberten gemeinsam schnell große Teile des von der syrischen Regierung kontrollierten Territoriums, darunter die Großstadt Aleppo und deren Umland. Darüber hinaus haben sie Berichten zufolge einige Gebiete eingenommen, die unter der Kontrolle der kurdisch geführten Syrian Democratic Forces standen, die von den Vereinigten Staaten unterstützt werden.
Die neue Offensive drängt auch weiter nach Süden. Berichten zufolge haben diese Kräfte heute Morgen die strategisch wichtige Stadt Hama unter Regierungskontrolle umzingelt.
Als Reaktion darauf hat die syrische Regierung eine Gegenoffensive angekündigt. Sie führt gemeinsam mit russischen Streitkräften Luftangriffe in den Provinzen Idlib und Aleppo durch.
Allein in Idlib wurden mehr als 50 Luftangriffe durchgeführt, die mindestens vier Gesundheitseinrichtungen, vier Schulen, zwei Flüchtlingslager und eine Wasseraufbereitungsanlage trafen. Berichten zufolge traf ein weiterer Luftangriff der Regierung den Eingang des Universitätskrankenhauses in Aleppo.
Die Zivilbevölkerung hat schnell unter all diesen neuen Kämpfen gelitten.
Am 3. Dezember berichtete das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA), dass bei Angriffen in Idlib und Nord-Aleppo, sowohl durch bewaffnete Oppositionsgruppen als auch durch syrische Regierungstruppen, 69 Zivilist*innen, darunter 26 Kinder, getötet und 228 verletzt wurden. Bis zum 4. Dezember verzeichnete das Syrian Network for Human Rights 149 zivile Todesfälle.
Mehrere zehntausend Syrer*innen wurden seit Beginn der Eskalation der Feindseligkeiten am 27. November vertrieben. Die Grundversorgung und die Bereitstellung von Hilfsgütern sind stark beeinträchtigt.
Wie es in diesem Konflikt weitergeht, ist ungewiss, aber das bisherige Verhalten beider Seiten gibt Anlass zu großer Sorge.
Es gibt belegte Aufzeichnungen über die Misshandlung von religiösen und ethnischen Minderheiten und Frauen durch oppositionelle Gruppen in Gebieten unter ihrer Kontrolle. Sie sind auch dafür bekannt, dass sie Menschen in Haft misshandeln, was Befürchtungen um das Wohlergehen gefangener feindlicher Kämpfer aufkommen lässt.
Auf der anderen Seite sind die syrische Regierungund ihr Verbündeter Russland in den letzten 13 Jahren der Feindseligkeiten ebenfalls für Gräueltaten verantwortlich. Dazu gehören wiederholte syrische und russische Angriffe auf zivile Infrastruktur, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen können.
Die weit verbreitete und systematische Folterung von Zehntausenden Menschen durch die syrischen Regierungstruppen ist ausführlich dokumentiert und kommt Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich.
In den letzten acht Tagen, in denen die Kämpfe wieder aufgeflammt sind, wurden internationale Aufrufe an die Konfliktparteien gerichtet, sich an geltendes Völkerrecht zu halten. Auch die Kriegsparteien selbst haben mehrfach versprochen, sich daran zu halten.
Was wir jedoch mehr als Worte brauchen, ist Rechenschaftspflicht. Solange die Täter mit ihren Gräueltaten ungestraft davonkommen, werden sie diese wahrscheinlich auch weiterhin begehen.
Wie mein Kollege Adam Coogle, sagt: „Ohne glaubwürdige Gerichtsbarkeit ist kein Ende des Leidens der Menschen in Syrien in Sicht, ganz gleich, wer das Land kontrolliert.“